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RAK/AACR: DFG-Bibliotheksausschuss



[Mail geht an RAK-List und Inetbib]

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

fast unbemerkt hat sich in ZfBB 49 (2002) 4, S. 236f., der
Bibliotheksausschuss der DFG zum Thema RAK/AACR geaeussert (leider nicht
online, weshalb ich in extenso zitieren muss). Dass sich der Ausschuss
"eingehend" mit dem Nikolausbeschluss befasst hat, ist sehr zu begruessen.
Unkommentiert moechte ich die Ergebnisse der Beratung jedoch nicht stehen
lassen, weshalb ich meinen Sonntag nachmittag in diese wie immer viel zu
lange Mail investiert habe:

1. Den Kosten eines Umstiegs seien, so der Ausschuss, Ensparungen "durch
die dann moegliche Uebernahme von Titelaufnahmen zu auslaendischen Werken,
die in wissenschaftlichen Bibliotheken einen Umfang von 30 % - 60 %
ausmachen", gegenueberzustellen.

Das klingt nun fast so, als koenne man folglich auch 30 - 60 % des
Katalogisierungsaufwands einsparen. Aber erstens werden selbstverstaendlich
schon jetzt AACR-Fremddaten uebernommen (wobei die noetigen Modifikationen
in den Verbuenden jeweils nur einmal zu erbringen sind). Zweitens muessten
wir angloamerikanische Fremddaten auch nach einem Umstieg weiterhin
bearbeiten, da zumindest Ansetzungsformen zu aendern waeren (deutsch statt
englisch) - von den zu erwartenden Sonderregeln fuer AACR-Deutsch ganz zu
schweigen...!

2. "Bibliothekssysteme koennten zukuenftig guenstiger erworben werden, da
keine Modifizierungen mehr fuer die deutschen Verhaeltnisse erforderlich
seien."

Dann muessten wir freilich gleichzeitig mit dem Regelwerkswechsel alle
deutschen Magazinbibliotheken in Freihandbibliotheken nach amerikanischen
Vorbild umwandeln. Erstere stellen besondere Anforderungen an die Katalog-
und Ausleihsysteme, die amerikanische Software-Hersteller auch kuenftig ins
Schwitzen bringen werden!

3. "Die bisherigen Versuche, die Heterogenitaet der Regelwerke (...) durch
Metastrukturen zu ueberwinden, seien gescheitert."

Das mag vielleicht fuer das im naechsten Satz genannte UNIMARC gelten;
Metakataloge wie der KVK oder die IFLA-Projekte zu virtuellen Normdateien
sind hingegen quicklebendig. Ausgerechnet im selben ZfBB-Heft (S. 223)
schildert z.B. auch OCLC PICA seine Strategie fuer einen "pan-European
union catalogue" auf Metaebene: "The underlying concept is to provide a
European-wide access to European union catalogues with linked metadata
(...)." Nationale Unterschiede seien zu akzeptieren: "The EUCAT concept
acknowledges that most European countries have their own union catalogue on
a national, federal state or regional level ? each of which continues to
reflect the culture, language and cataloguing rules and conventions of the
individual country/state/region." "Historical, cultural and linguistic
differences among the countries in Europe legitimise the existence of this
variety of different solutions to the same problem."

4. Der Ausschuss urteilt m.E. ganz richtig, dass "beide Regelwerke
veraltet", weil "auf Zettelkataloge ausgerichtet" seien, und dass
eigentlich "ein neues, den modernen Anforderungen entsprechendes Regelwerk
geschaffen werden" muesste. Dann folgt jedoch eine verblueffende
Schlussfolgerung: "Es sei allerdings nicht zu erwarten, dass dies von
Deutschland aus geleistet werden koenne. Daher sei zu ueberlegen, auf AACR
und MARC umzusteigen und in den zustaendigen Gremien an einer gemeinsamen
Neuentwicklung mitzuarbeiten."

Also nicht ein, sondern gleich zwei Umstiege - erst auf die veralteten
AACR, dann auf das neue moderne Regelwerk? Das waere m.E. sowohl in
betriebswirtschaftlicher (doppelter Aufwand!) als auch bibliothekarischer
Hinsicht (zwei Katalogbrueche!) problematisch. Warum so kompliziert, wenn
es auch einfacher geht? Die richtige Plattform fuer die Entwicklung
moderner und internationaler Regeln sind die im naechsten Sommer
beginnenden IFLA-Konferenzen zur Katalogisierung, bei denen das Beste aus
den bestehenden Traditionen zusammengebracht werden soll. Hier muessen sich
unsere Katalogexperten aktiv und selbstbewusst einbringen. Und das geht
nicht - wie Herr Eversberg schon in Augsburg sagte - wenn man zuvor die
eigene Tradition ueber Bord geworfen hat.

5. "Seitens der Wissenschaftler wurde die Notwendigkeit der internationalen
Oeffnung der deutschen Bibliotheken mit Nachdruck hervorgehoben, damit
Ergebnisse deutscher Forschungen und Publikationen deutscher
Wissenschaftler auch international wahrgenommen werden koennen. Dies werde
durch die unterschiedlichen Regelwerke bisher behindert."

Hier habe ich wirklich gestaunt: Denn dass die Form der *Titelaufnahme*,
unter der ein Werk aus deutscher Produktion in Bibliographien und
Prospekten angezeigt wird, auch nur den geringsten Einfluss auf dessen
Absatzchance im Ausland hat, kann ich mir beim besten Willen nicht
vorstellen. Vielleicht stoeren sich englischsprachige Bibliothekare an den
deutschen Schlagwoertern und der ungewohnten systematischen Anordnung der
deutschen Nationalbibliographie - aber mit der RAK-Aufnahme haben sie doch
wohl genausowenig Probleme wie umgekehrt wir z.B. bei der Durchsicht der
BNB. Sicher wird man auch an einer amerikanischen Universitaet nicht auf
den Kauf eines interessanten deutschen Titels verzichten, nur weil der
Katalogisierungsaufwand dafuer marginal hoeher ist. Und fuer die Benutzer
sind die Details der Titelaufnahme sogar noch viel unwichtiger. An der
Schweizerischen Landesbibliothek haben die meisten den Wechsel zu AACR
nicht einmal *bemerkt*, wie Frau Balzardi in Augsburg ausfuehrte.

6. "Aus rein finanziellen Gründen sollte aus Sicht der Wissenschaftler der
Umstieg nicht abgelehnt werden."

Mag sein, aber ebensowenig darf er aus rein politischen Gruenden erfolgen.
Um den gigantischen Aufwand zu rechtfertigen, muessten ueberzeugende
*sachliche* Begruendungen fuer seinen Nutzen vorliegen.

7. Als Ergebnis der Beratung wurde u.a. festgehalten, dass "der Umstieg auf
AACR und MARC die einzige realistische Option darstelle".

Eine Alternative gibt es sehr wohl, die nach meinem Dafuerhalten weit
realistischer ist: Die Weiterentwicklung der RAK2 als eines modernen
Regelwerks, das sowohl international als auch mit unserer bisherigen
Tradition kompatibel waere. Zu einem Gutteil sind sie schon vorhanden und
koennten in absehbarer Zeit fertiggestellt werden. Hingegen haben die
Befuerworter eines Umstieg - ausser der Absichtserklaerung eines
umstrittenen Gremiums - bisher wenig Konkretes in der Hand.

Ich wuerde mir deshalb wuenschen, dass der Bibliotheksausschuss der DFG das
Thema noch einmal auf seine Tagesordnung nimmt und die hier und anderswo
vorgebrachten Argument gruendlich prueft.

Einen schoenen Wochenanfang wuenscht
Heidrun Wiesenmueller

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Heidrun Wiesenmueller M.A.
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