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Skandal: UB Eichstaett verhoekert Kapuzinerbuecher (2)



Fortsetzung:

> 
> Offenbar, lieber Herr Schmalor, haben Sie nämlich nicht bemerkt,
> daß
> wir ins Visier eines Strategiespiels "Hybride Bibliothek" geraten
> sind. Der Spieler hat nur den Terminus "hybrid" mißverstanden. Das
> Spiel ist ziemlich einfach und kann, da alle Bibliotheken Dubletten
> verkaufen, endlos weitergespielt werden. Unser Spieler spielt schon
> seit Jahren.

Diese Bemerkung wuerde ich, wenn ich sie denn verstuende, vermutlich
duemmlich finden. Getroffene Hunde bellen.

Vermutlich spiele ich dieses angebliche Strategiespiel, ohne es zu
wissen. Was die Problematik der Mischbibliothek ("hybride Bibliothek")
aus traditioneller und digitaler Bibliothek hier fuer eine Rolle spielen
soll, ist mir unklar. Mir geht es seit 1999, wie auf meiner Homepage
unter

http://www.uni-koblenz.de/~graf/#kulturgut

dokumentiert, um den Schutz von bedrohtem Kulturgut.

Zum Schlagwort hybride Bibliothek lese man:

http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/2001/0002/welcome.html


> Deshalb finde ich es schade, daß Sie nicht geantwortet haben:
> "Natürlich weiß ich das. Und das fügt sich auch durchaus in
> unsere Nauroder Erklärung. Denn wir verkaufen alle, soweit das
> damit vereinbar ist, Dubletten." Unser Spieler hätte sich daraufhin
> rasch neu positioniert und wahrscheinlich alle kirchlichen
> Bibliotheken als unzuverlässig, ja "skandalös" qualifiziert. Aber Sie
> hätten damit einen gewissen Schutzwall gegenüber ähnlichen
> Attacken um
> unsere vielen kleinen Mitgliedsbibliotheken gezogen.
> 
> Eichstätt verkraftet das. Für uns hat das Ganze sogar den Vorteil,
> daß
> wir uns wieder einmal der Korrektheit unseres Vorgehens
> vergewissern
> mußten:
> 
> Die Kapuziner haben nämlich von jeher ein eigenes Verhältnis zu
> ihren Bibliotheken. Die Constitutionen dieses Bettelordens
> beschränkten den Buchbestand ihrer Bibliotheken auf das für den
> Orden und seine Tätigkeiten Notwendige, namentlich seelsorglich-
> homiletische Literatur und Hilfsmittel. Nicht Erforderliches soll
> ausgeschieden werden. Darum hatten alle alten Konvente,
> vornehmlich
> auf den Dachböden, (Abstell-)Räume mit ausgesonderten Büchern.
> Außerdem sollten andere, z.B. neugegründete Konvente nach
> Kräften mit
> Literatur unterstützt werden. Das führte zu einer oft verwirrenden
> Wanderung von Büchern innerhalb einer Provinz, z.B. von Eichstätt
> nach
> Neumarkt/OPf. und nach Wemding und wieder nach Eichstätt,
> wobei die
> Einträge, soweit überhaupt vh., i.d.R. undatiert sind, die Reihenfolge
> also auch anders gelaufen sein kann: Was wann wo war, ist meist
> nicht
> mehr rekonstruierbar, es sei denn über Kataloge. Wichtig ist es
> daher
> vor allem zu wissen, welche Bücher in der Provinz vorhanden waren
> (innerhalb der ja auch die fratres rege wechselten) - und das halten
> wir heute bei den Rechnungen fest. Ähnlich sind die Kapuziner seit
> Errichtung ihrer Zentralbibliothek in Altötting verfahren: Zum einen
> wurde (und wird) weiterhin ausgetauscht, zum anderen wurden
> nicht nur
> die Bibliotheken aufgehobener Konvente, sondern auch
> "überflüssige"
> Werke aus weiterhin bestehenden Konventen in die
> Zentralbibliothek
> gegeben. Dort wurden, soweit der eine Bibliothekar überhaupt in der
> Lage war, die Menge zu überschauen, immer wieder Dubletten
> ausgesondert und verkauft. Bei der Übernahme der Zentralbibliothek
> nach Eichstätt lag ein Bestand von mehreren 1.000 Dubletten dort,
> den wir
> vertragsgemäß noch von Altötting aus verkauft haben.
> 
> Nach diesen Prinzipien: Erschließung der Titel in allen
> vorhandenen Auflagen für die Zentralbibliothek, deren Funktion
> heute die UB Eichstätt wahrnimmt, dabei Aussonderung der
> überzähligen Exemplare, verfahren wir, den Eigentümlichkeiten der
> Provenienz entsprechend, nun auch in Eichstätt. Natürlich behalten
> wir
> in Sonderfällen wie z.B. Inkunabeln oder Werken mit besonderem
> intrinsischen Wert auch die Mehrfachexemplare. Unsere
> Verfahrensweise
> ist also speziell auf diesen Bibliothekstyp abgestellt.
> Benediktinerbibliotheken z.B. ( etwa die von St. Walburg in
> Eichstätt,
> die wir ja vor einigen Jahren einschließlich des vorsäkularen
> Bestandes vollständig erfaßt haben) oder Fürstenbibliotheken dürften
> so natürlich nicht behandelt werden. Da ist das Verhältnis zum Buch
> bzw. zur Bibliothek eben ganz anders - weshalb ja auch z.B. eine
> Zentralbibliothek einer Benediktinerprovinz unvorstellbar wäre.
> 
> Lieber Herr Schmalor, ich hoffe, Sie verstehen, daß ich Ihnen auf
> diesem Wege schreibe. Durch Feiertage und Dienstreisen komme ich
> leider erst heute dazu.
> 
> Mit besten Grüßen,
> Ihr Klaus Littger

Alle Bibliotheken verkaufen Dubletten, das ist wahr. Aber doch nicht aus
schuetzenswerten Altbestaenden! Es geht hier doch nicht um dutzendfach
vorhandene Werke des spaeten 19. oder 20. Jahrhunderts, die natuerlich
ohne weiteres ausgeschieden werden koennen, wenn sie nicht einem als
Gesamtheit schuetzenswerten geschlossenen Bestand angehoeren (z.B. einer
bedeutenden Gelehrtenbibliothek) oder handschriftliche Eintraege
aufweisen. Aber selbst dann sollten bei einer Aussonderung Titel und
Provenienz (soweit durch Exlibris etc. erkennbar) dokumentiert werden.

Der sog. Dublettenverkauf bei Altbestaenden ist seit der spektakulaeren
oeffentlichen Auseinandersetzung zwischen Halm (BSB Muenchen) und Ruland
(UB Wuerzburg) ueber die Muenchner Inkunabeldublettenverkaeufe im 19.
Jh. offenbar ein Tabu-Thema des Bibliothekswesens. Alle tuns, aber
niemand wills gewesen sein. Mir ist glaubhaft zu Ohren gekommen, dass
auch die HAB Wolfenbuettel vor der Amtszeit von Raabe Mehrfachexemplare
ausgesondert hat und dass die hochgeruehmte Johannes a Lasco Bibliothek
in Emden heute noch so verfaehrt. Aus meiner Dissertation kann ich ein
schlagendes Beispiel fuer einen unsinnigen Dublettenverkauf der LB
Stuttgart Anfang des 20. Jh. anfuehren: sie hat ein landesgeschichtlich
bedeutsames Mehrfachexemplar einer Lirer-Inkunabel nach New Haver
verkauft, siehe

http://www.uni-koblenz.de/~graf/heinr.htm#t67

Es gibt aber zum Dublettenverkauf, sweit ich weiss,  keine
uebergreifenden Forschungen.

Aus der Sicht der Wissenschaft darf ich einen Text des Hamburger
Kirchenhistorikers Johann Anselm Steiger anfuehren, der ja vehement
gegen die Verkaeufe aus der NEKB protestiert hat:

"Immer mehr Wissenschaftler, die aus gedruckten Quellen des 16. bis 18.
Jahrhunderts zitieren, geben neben den bibliographischen Angaben auch
das Exemplar, das sie verwendet haben, an. Das hat seinen guten Grund:
Was frühneuzeitliche Drucke angeht, hat man bis zum schlagenden Beweis
des Gegenteils von der Prämisse auszugehen, daß es Doubletten nicht
gibt. Ein solcher Beweis aber läßt sich keineswegs auf den ersten oder
zweiten Blick, häufig auch nicht durch den Vergleich der sog.
Fingerprints, sondern nur durch mühsame Kollation, d.h. durch
detaillierte textkritische Arbeit, etwa innerhalb eines
Editionsprojektes, erbringen. Von enormem Quellenwert sind zudem nicht
nur Besitzeinträge, sondern auch auf den ersten Blick unerhebliche (und
den antiquarischen Marktwert meist verringernde!) Anstreichungen bzw.
Marginalien, die selbst dann von rezeptionsgeschichtlichem Interesse
sein können, wenn es nicht möglich ist, den Autor dieser Paratexte zu
identifizieren."

Die allermeisten wissenschaftlichen Bibliotheken wuerden heute davon
ausgehen, denke ich, dass der Bereich des historischen Bucherbes, der
Altbestaende im Sinne des Handbuchs der historischen Buchbestaende
"sakrosankt" ist und nicht durch Verkaeufe geschmaelert werden darf.
Eichstaett sieht das allerdings anders, und verstoesst damit gegen alle
vier von mir genannten Kriterien.

1. Transparenz: Sowohl die telefonischen Auskuefte um den 1. Juni herum
als auch die Mail des Provinzials entsprechen nicht der Wahrheit. Wieso
hat man mich damals nicht auf den wahren Sachverhalt hingewiesen bzw.
auf die Publikation von Littger 2000? Der Provinzial legt auf einen
weiteren Schriftverkehr mit ihm keinen Wert, wie er mir per Mail
mitteilte, da ich seine Mail ungenehmigt verwendet haette. Ich begruesse
das, denn auch ich moechte mit Leuten, die mich anluegen und denen
Gottes Gebot so wenig bedeutet, nichts zu tun haben.

Ich kann nun nicht detailliert offen legen, mit wem ich vor meiner Mail
an INETBIB gesprochen habe. Aber diese Gespraeche hatten keinerlei
Anhaltspunkte dafuer ergeben, dass die Eichstaetter Vorgaenge allgemein
bekannt waren. So wurde auch in Naurod nicht ueber Eichstaett
gesprochen.

Bei Dublettenverkaeufen denkt man nun einmal nicht an historische
Bestaende vor 1800, sondern an modernes Schrifttum.

Ich selber habe ja einen Band gesehen, der einen Besitzeintrag des
Konvents Wemding aus dem 17. oder 18. Jh. enthielt und der zuletzt im
Kloster Eichstaett (einem Zentralkloster) war, also nach dem o.g.
Kriterium EIGENTUM des Freistaats Bayern zu gelten hatte. Daher traegt
die Generaldirektion der Bayerischen Staatsbibliothek eine
Mitverantwortung, denn sie muss die Altbestandsverkaeufe aus Eichstaett
auch hinsichtlich der staatlichen (vermeintlichen) Dubletten genehmigt
haben. Merkwuerdig nur, dass man davon in der Handschriftenabteilung
nichts davon wusste, als ich mich dort erkundigte ... 

Zweites Beispiel aus dem ZVAB: "Theologie ohne Autor: Die heiligen
Evangelien. sehr alt, [...]
exlibris-Aufkleber
(Bibliothek des kapuzienerklosters Eichstädt) 288 Seiten und etwa 50
Leerseiten für Notizen, davon zwei Seiten handschriftlich eng in
deutscher Schrift beschrieben, datiert auf den 15.9.1621".

Wer kaeme auf die aberwitzige Idee (ausser einem Herrn Dr. L.), in einem
solchen (ebenfalls staatlichen) Band mit einem handschriftlichen Text
eine Dublette statt ein MANUSKRIPT (mit angebundenem Druck) zu sehen? Im
angloamerikanischen Raum gibt es eigene Forschungskataloge fuer
Bestaende mit Marginalien - aber die UB Eichstaett verhoekert derlei
munter als "Dublette".

Kriterium 2 ist klar erfuellt, es wurde wertvolles Kulturgut geopfert.
Ob die Ausfuehrungen von L. zur Bibliothekssorge der Kapuziner zutreffen
oder nicht, kann dahingestellt bleiben. Richtig ist, dass fuer eine
Rekonstruktion der Bibliotheken einzelner bayerischen Kapuzinerkonvente
nun einmal von dem Bestand ausgegangen werden muss, der ihnen durch
Besitzvermerke oder Kataloge zugewiesen werden kann. Wer den
Gesamtbestand nach dem Dublettenprinzip ausduennt, zerstoert eine
historische Quelle. In seinem Beitrag von 2000 sagt L. ja auch, dass
eine Provenienzbestimmung "teilweise" unmoeglich sei. Schweizer
Kapuzinerbibliotheken (Zug, Luzern) konnten aber durchaus als wichtige
geistesgeschichtliche Quellen erforscht werden - was absurd waere, wenn
die Fluktuation jegliche wissenschaftliche Aussage verunmoeglichen
wuerde.

Nun muessten wir eigentlich dankbar sein ueber alles, was uns von
historischen Kapuzinerbibliotheken uebrig geblieben ist, denn bei der
Saekularisation galten diese als Horte des Obskurantismus und wurden von
den zustaendigen Beamten oft restlos dezimiert. Man lese beispielsweise
P. Bonaventura von Mehr, Das Predigtwesen in der kölnischen und
rheinischen Kapuzinerprovinz, Roma 1945, S. 323-325. Das
Bibliothekswesen der Kapuziner kann nicht als gut erforscht gelten, z.B.
fehlt ein Artikel im LGB². Das angeblich so korrekte Vernichtungswerk
der UB Eichstaett setzt mit dem Deckmaentelchen der ganz anderen
Bibliothekskultur diesen Ordens die damalige Barbarei im 21. Jahrhundert
fort.

Und warum hat man sich ueberhaupt an den Altbestaenden vergriffen und
nicht erst die modernen "Dubletten", die man vielleicht auch als solche
ausscheiden durfte, entfernt, womit man doch erheblich mehr Platz
gewonnen haette? Offenbar, weil man auf das durch Antiquariatsverkaeufe
zu erzielende Geld scharf war.

Kriterium 3 ist auch erfuellt, denn von einer vorrangigen Anbietung an
andere Bibliotheken verlautet nichts. Aus Wolfenbuettel wurde ich
nachtraeglich in privater Mail angegriffen: Die Sammlung deutscher
Drucke habe durchaus Bestaende des 17. Jh. aus Kapuzinerbibliotheken
erwerben koennen und somit etwas davon gewusst. Aber aus Antiquariaten!
Und unabhaengig davon, wie guenstig die Kaeufe waren, bleibt es eine
eklatante Verschwendung von Steuergeldern, wenn die fuer Barockdrucke
zustaendige Bibliothek nicht direkt und damit guenstiger bei einer
anderen oeffentlichen Bibliothek erwerben kann. 

Ebensowenig hat - Kriterium 4 - eine Dokumentation exemplarspezifischer
Eigenheiten stattgefunden. Es genuegt eben nicht, dass man aus den
Rechnungen ersehen kann, wie L. oben schreibt, was Besitz der ZB war.
Wenn man schon nicht alles meint behalten zu koennen, sollte man immer
versuchen, den Schaden fuer die Wissenschaft durch vorherige
Dokumentation (Kopieren der Titelblaetter, Besitzeintraege usw.) so
gering wie moeglich zu halten. In Eichstaett: Pustekuchen! Man habe
dafuer kein Personal. Aber haette man sich denn nicht solange Zeit
lassen koennen, wenn man die ganze Sache ohnehin langfristig angehen
musste?

FAZIT:

Eine alte Regel des kanonischen Rechts lautet: Wer schweigt, stimmt zu.
Hier ist das Forum, mir laut zu widersprechen, wenn ich mich irren
sollte - insbesondere hinsichtlich der allgemeinen Auffassung in
wissenschaftlichen Bibliotheken, dass Altbestaende und inbesondere alle
Bestaende vor 1800 - unabhaengig von ihrem angeblichen
Dublettencharakter - NICHT in den Handel gegeben werden duerfen.    

Von der UB Eichstaett ist zu fordern:

1. Keine weiteren Verkaeufe aus den Kapuzinerbibliotheken aus dem
Bestand vor 1802 mehr!

2. Ausscheidung juengerer sog. Dubletten nur in einem transparenten
Verfahren durch vorrangige Anbietung an andere Bibliotheken und unter
Dokumentation ihrer Provenienz.

Wer diese Forderungen unterstuetzen moechte, kann dies gegenueber seiner
Magnifizenz, dem Praesidenten der KU Eichstaett Prof. Dr. Ruprecht
Wimmer mailto:praesident _at__ ku-eichstaett.de tun.

Ergaenzend sollte in den kirchlichen, aber auch anderen Bibliotheken und
den dafuer zustaendigen Gremien kritisch und ausfuehrlich ueber die
sogenannten Dublettenverkaeufe gesprochen werden. Ich kann nur aus der
Sicht des Wissenschaftlers wiederholen, dass heute keine Bibliothek mehr
das Recht hat, in schuetzenswerten, weil wissenschaftlich wertvollen
historischen Buchbestaenden mit dem im Ansatz verfehlten
Dublettenargument zu wildern.

Kontaktaufnahme mit dem kath. Verband: via http://www.akthb.de.

Dr. Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.