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Pößnecker Inkunabeln



Sehr geehrte Damen und Herren,

am 09.05. habe ich in einem Beitrag "Verlust einer kleinstädtischen
Kirchenbibliothek" in der E-Mail-Liste MEDIAEVISTIK den 1996 erfolgten
Verkauf der spätmittelalterlichen Bestandteile aus der Büchersammlung der
Ev.-luth.
Kirchengemeinde in Pößneck/Thüringen, kommentiert. Der Verkauf wurde durch
das Landeskirchenarchiv in Eisenach vermittelt, dass die Bibliothek aus
Bestandsschutzgründen seit 1993 depositarisch verwahrt.

In Reaktion darauf hat Herr Kretschmer, Bibliothekar im Landeskirchenarchiv
der Ev.-Luth. Kirche Thüringens in Eisenach, am 15. Mai in dieser
Mailing-Liste die Umstände des damaligen Verkaufs näher erläutert und dabei
meine Stellungnahme kritisiert. Die Darlegung von Herrn Kretschmer habe ich
- und sicher nicht nur ich - mit
großer Erleichterung gelesen. Ich halte es für gut, dass Umstände und Ablauf
des
Eigentumstransfers der Pößnecker Inkunabeln, mit dem eine lange lokale
Aufbewahrungs- und Besitztradition beendet wurde, auf diese Weise ausführlich
erörtert worden sind, und es war vermutlich ein Glück, dass der damalige Leiter
des Landeskirchenarchivs, Herr Dr. Schenk, sich so engagiert für die Erhaltung
des Provenienzzusammenhangs bei der Veräußerung eingesetzt hat. Immerhin
standen, das machen die Ausführungen von Herrn Kretschmer ja ebenso deutlich,
Interessenten des gewerblichen Vertriebs bereits mit Angeboten zur Abnahme
bereit. Die kulturgutbewusste und wissenschaftsfreundliche Haltung des damaligen
Leiters des Landeskirchenarchivs bei der Vermittlung des Inkunabelverkaufs
verdient deshalb angesichts der Negativbeispiele, die auf dem Sektor des
nichtstaatlichen Archiv- und Bibliothekswesens in den letzten Jahren bekannt
geworden sind, nachdrücklichen Respekt.

In dieser Hinsicht akzeptiere ich auch Herrn
Kretschmers Beanstandung, meine Bewertung des 1996 vollzogenen Verkaufs sei
zu Teilen überzogen
ausgefallen. Insbesondere angesichts der vom
Landeskirchenarchiv Eisenach formulierten und auch durchgesetzten Auflagen
für den Verkauf zeigt sich, dass
die Veräußerung des
Pößnecker Inkunabelbestands mit den gegenwärtig diskutierten Abstoßungen
wertvoller Buchbestände bei der NEKB in der Tat nicht vergleichbar ist. Es
war ungünstig, dass ich meinen Beitrag unmittelbar 
an die von Herrn Graf in dieser Sache sehr zu Recht initiierte Debatte
angeschlossen habe, was leider Raum lässt zu einer Parallelisierung beider
Fälle, die so nicht möglich ist und die ich bedauere.

Allerdings geht und ging es in meinem zu einem Gutteil "cum ira et studio"
geschriebenen Kommentar auch nicht darum, mit Lust über irgendjemanden
moralisch "den Stab zu brechen". Selbst beim wiederholten
kritischen
Studium kann ich nicht finden, dass mein Beitrag einen Verdacht auf
"Geldgier"
oder
ähnlich abseitige Motive beim Leser
schürt. Vielmehr habe ich die Gründe, die zum Verkauf der Pößnecker
Inkunabeln führten,
eben dort vermutet, wo sie Herrn Kretschmers Erläuterungen zufolge auch
lagen:
im
Finanzierungsdruck nämlich, der auf der Kirchengemeinde angesichts
anderweitiger
dringender Erhaltungsaufgaben lastete. Herr Kretschmer hat dies prägnant
als "schwarze Ironie" umschrieben: "dass man ein Kulturgut hergeben
musste, um ein
anderes zu erhalten." 

Mit freundlichem Gruß


Andreas Petter (Köln/Univ. Halle-Wittenberg)






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