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Re: Spektakulärer Bibliotheksneubau in Alexandria



Liebe inetbibler & -innen,

Staaten, Regierungen, internationale Organisationen schaffen gerne
Monumentales: 'Obras Faraónicas' nennen Brasilianer Großprojekte wie
z.B. den Itaipú-Staudamm.  Wirtschaftsexperten bezweifeln seinen Nutzen
für die brasilianische Energieversorgung, Ökologen weisen auf die
entsprechenden Schäden in der betroffenen Region hin. Im Lande der
Pharaonen gibt es ein nämliches Werk mit einer vergleichbaren Bilanz:
den Assuan-Staudamm.

Auch die Internationale der Bibliotheken hat ihre 'Obras Faraónicas'.
Nachdem das Teheraner IFLA-Projekt 1989 der islamistischen Revolution
des Ayatolla Chomeni zum Opfer gefallen war, suchte und fand die IFLA
ein neues Objekt im Lande der Pharaonen: Die sagenumwobene Bibliothek
von Alexandria soll wieder auferstehen...

Im Feuilleton der F.A.Z. vom 16.5.2002 ist zum Stand der Dinge in
Ägypten ein ausführlicher Artikel zu lesen:

Das endlose Warten: Die neue und die alte Bibliothek von Alexandria 

Warten auf ein Weltwunder: Die neue Bibliothek von Alexandria harrt
ihrer Eröffnung / Von Wolfgang Köhler

In diesem Artikel schreibt W. Köhler: "Die Hoffnung aber, die neue
Bibliothek werde einmal "alles Wissen einschließen, das der menschliche
Geist jemals hervorgebracht hat, in jeder verfügbaren Form, aus
verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Sprachen", ist längst der
Einsicht in die nicht zuletzt aus finanziellen Gründen beschränkten
Möglichkeiten einer solche Institution in Ägypten gewichen. So schenkte
die aufgeschobene Eröffnung den Verantwortlichen Zeit, ihre Ziele zu
überdenken. Auch nach eineinhalb Jahrzehnten besteht über sie noch keine
völlige Klarheit: Der hierarchischen Gesellschaft Ägyptens scheint der 
Erfolg schon durch den Einschluß internationaler Berühmtheiten
gesichert. So sollen dem künftigen Patronatsrat der französische
Staatspräsident und die Königin von Spanien angehören. Im Treuhänderrat,
ebenfalls unter dem Vorsitz der Präsidentengattin Suzanne Mubarak, auf
dessen "hervorragende Mitglieder aus aller Welt" Bibliotheksdirektor
Ismail Saragaddin stolz verweist, sitzt wenigstens ein Fachkundiger:
Hans-Peter Geh, pensionierter Leiter der Württembergischen
Staatsbibliothek in Stuttgart." 

[...]

"Vom Konzept der - nach antikem Vorbild - vornehmlich akademischen
Stätte, zugänglich nur für ausgewiesene Wissenschaftler mit einem
erklärten Forschungsprojekt, das der inzwischen pensionierte Leiter des
Projekts, Muhsin Zahran, postuliert hatte, ist man abgerückt. Die
Bibliothek soll möglichst viele Leser anlocken, obwohl deren Zahl nicht
nur in Ägypten im Vergleich zu Benutzern elektronischer Medien sinkt.
Suzanne Mubarak hat deshalb unter dem Motto "Lesen für alle" die
Errichtung von Bibliotheken im Lande veranlaßt. Trotzdem wird das
Bildungssystem des Landes von kundigen Ägyptern als Katastrophe
beschrieben. Die dem Propheten Muhammad zugeschriebene Forderung,
"Wissen zu suchen, selbst wenn es in China ist", scheint unter den
Gläubigen dieser Tage, nicht nur in Ägypten, vergessen. Also eine
glanzvolle neue Bibliothek inmitten einer kulturellen Wüste? Saragaddin
widerspricht. Er wehrt auch Fragen nach der ägyptischen Zensur ab, der
Bücher, Filme, Zeitungen, Theaterstücke und selbst Websites unterliegen.
Er beharrt darauf, daß die  Bibliothek eine Stätte freier
Meinungsäußerung sein werde."

Die Handlungen der IFLA-Verantwortlichen, besonders der deutschen
Vertreter, sollten in Bezug auf dieses und möglicherweise weitere
MonumentalProjekte von der Fachöffentlichkeit kritisch beobachtet
werden. 

Für die Alexandrina bleibt die Hoffnung, dass der Kollege Saragaddin
Recht behält, "die Bibliothek eine Stätte freier Meinungsäußerung sein
werde".

Marcel Brannemann
-- 
___________________________AWI_________________________
Marcel Brannemann - mbrannemann _at__ awi-bremerhaven.de
- Bibliotheksleitung -
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