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Re: Zukunft des Bibliothekars



Liebe INETBIBler,

die Frage nach Notwendigkeit, Sinn und Inhalt bibliothekarischer
Tätigkeit laesst sich nach meiner Ansicht aus der beruflichen
"Binnenperspektive" und auch historisch nicht befriedigend
beantworten, sondern nur aus der allein sinnstiftenden
Benutzerperspektive - dies als Anmerkung bzw. Addendum zu den
Beitraegen von Uwe Jochum und Helmut Oehling in Bibliotheksdienst
1998, H.2. Ein etwas banaler Vergleich soll dies verdeutlichen: Kein
Gesundheitssystem wuerde Aerzte honorieren, wenn diese von der
ueberwiegenden Zahl der Patienten (hier besser: der Kranken) fuer
ueberfluessig gehalten wuerden. Hinweise auf das Selbstverstaendnis
dieser Gruppe und die historische Entwicklung des Berufsstandes
wuerden wenig nuetzen.

Ob die von Herrn Jochum und Herrn Oehling in Bibliotheksdienst 1998,
H.2  geforderte verstaerkte wissenschaftliche Orientierung
bibliothekarischer Taetigkeiten aber realistisch ist, beurteile ich
mit einiger Skepsis, auch wenn ich einraeme, dass mich z.B. das von
dem frueheren Leiter der Zentralbibliothek der KFA Juelich, Herrn
Dr. Guenther Reichardt, wortreich vorgetragene Leitbild eines
"Information Scientist" seinerzeit beeindruckt und beeinflusst hat.
Auch von Prof. Manfred von Ardenne wurde Aehnliches vorgeschlagen.
Allein es mangelt nach meinem Eindruck an entsprechenden Vorbildern,
und die Praxis laesst hierfuer auch wenig Raum und Zeit. (Letzteres
ist aus Sicht der o.g. Autoren sicherlich ein circulus vitiosus, da
sich aus ihrer Sicht das Berufsbild zu sehr auf
Verwaltungstaetigkeiten verengt hat.) Auf welcher Basis - vom Wie
einmal abgesehen - soll die geforderte inhaltlich-wissenschaftliche
Ausrichtung aber realisiert werden, wenn die Betreuung von Faechern,
die noch nicht einmal studiert oder schwerpunktmaessig studiert
wurden, verbreitete berufliche Praxis ist?  Die Vorstellung, man
koenne z.B. naturwissenschaftliche Fachreferate mit einschlaegigen
bibliothekarischen Fachleuten besetzen, war schon in finanziell
besseren Zeiten eine Wunschvorstellung und heute, da in einigen
Bereichen kaum noch Buecher beschafft werden koennen, erst recht.
Fuer eine Aenderung dieses Zustandes kann auch bei voelliger
Umorientierung des Berufsbildes von Seiten der Fakultaeten etc.
nicht die geringste Unterstuetzung erwartet werden. Der Hinweis auf
die Buecher und Zeitschriften, die fuer das Jahresgehalt eines
Bibliothekars erworben werden koennen, schlaegt - insbesondere unter
den Rahmenbedingungen der Finanzautonomie - jedes andere Argument.
Auch sollte man sich, was die Sache selbst betrifft, vor einer
Selbstueberschaetzung hueten: Als es bei der Diskussion eines
Organisationsplans fuer die UB Bielefeld - liegt schon lange
zurueck! - auch um Taetigkeiten und Status der Fachreferenten ging,
und ich bei einem der Bibliothek einfussreich verbundenen und der
Fachreferatsarbeit wohlwollend zugetanen Wissenschaftsvertreter fuer
eine wissenschaftsnahe Verankerung und Ausrichtung der
Fachreferatsarbeit plaedierte (ganz im Sinne der Thesen von Herrn
Oehling), kam ich mir vor wie jemand, der mit einem Blinden ueber
die Farben zu reden versucht. Mein Vorschlag: Vorstellungen
hinsichtlich einer eng wissenschaftsbezogenen Ausrichtung
fachbibliothekarischer Taetigkeit sollten nicht abstrakt in
bibliothekarischen Gremien und Foren eroertert werden (nach dem
Motto: "Wie gefalle ich mir selbst am besten?"), sondern ganz konkret
"zur Sache" mit den - hoffentlich vorhandenen? - persoenlich
bekannten Fachvertretern.

Nach meiner Erahrung lassen sich die meisten
informationsvermittelnden Taetigkeiten  mit einem - allerdings nicht
zu "verstaubten" - allgemeinen fachlichen Hintergrundwissen
wahrnehmen, waehrend ausgesprochene Spezialkenntnisse relativ selten
gefordert sind und i.d.R. auch nicht erwartet werden.

Um nach diesem Exkurs wieder zu den Ausgangsfragen zurueckzukehren:
In dem Masse, in dem einzelne Wissenschaftsbereiche ueber das
Internet in ihrer Informationsversorgung zunehmend autonom werden
(z.B. Hochenergiephysik), lautet die aus der Benutzerperspektive zu
stellende Frage an die Bibliothekare: "Brauchen wir noch
Bibliotheken, und wenn ja wofuer?" Der Physics Workshop "Cooperative
Research Information Systems in Physics, Aug.31-Sept.4, 1997,
Oldenburg" verbunden mit einem Treffen der
Fachinformationsbeauftragten der Physik war fuer mich eine
wollkommene Gelegenheit und Herausforderung, vor einem kritischen
Publikum dieser Frage nachzugehen.

"Will university libraries come out of date when electronic
publications become prevailing?"

http://www.ub.uni-bielefeld.de/aktuell/vers25-8.htm

Zitat (Conclusion):
"Taking in account ... I suppose that there is a need for information
experts and information systems and that universities will provide for
them in the same way as they afford staff and equipment for their
computing centres. ... Obviously it would be the best solution if the
cyber librarian and the traditional reference librarian belonged to
the same instituition providing for the overall information needs.
So I hope - and I am almost sure - that libraries will make ist. But
if you have any problems with institutions feel free to call everyone
a librarian whose job is providing consistent access to document and
document-related information for you and for the public."


                                      Mit freundlichem Gruss
                                      W. Binder


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.